Mitte November 2011 haben der Landesverband Berlin der SPD und der Landesverband Berlin der CDU ihre Koalitionsvereinbarungen abgeschlossen. Der Fahrplan für die Legislaturperiode 2011-2016 ist somit klar. Die Vereinbarung des neuen Bündnisses enthält zukunftsweisende Passagen zum Gesundheitsstandort Berlin, zu denen das Koch-Metschnikow-Forum führenden Persönlichkeiten der Berliner Wissenschafts-, Wirtschaft- und Politikszene einige Fragen gestellt hat.
02.03.2012
Auf dem Weg zur internationalen Gesundheitsmetropole Berlin, die Koalitionsvereinbarung der Berliner Regierungsparteien
Prof. Dr. med. Detlev Ganten

Prof. Dr. med. Detlev Ganten, Vorsitzender des Stiftungsrates der Stiftung Charité und Präsident des Weltgesundheitsgipfels der Charité Berlin, erläuterte im Gespräch mit dem KMF, was die Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD für den Wissenschaftsstandort Berlin bedeutet.
KMF: Herr Prof. Ganten, Berlin soll der Vereinbarung zufolge zum zentralen Gesundheitsstandort Europas ausgebaut werden, der Charité und Vivantes kommen dabei eine zentrale Rolle zu. Erhofft sich die Charité vor dem Hintergrund dieser Absichtserklärung eine tatsächliche Unterstützung durch die Stadt Berlin oder sehen Sie in der Erklärung nichts als ein bloßes Lippenbekenntnis von Politikern?
Ganten: Wir gehen natürlich alle davon aus, dass CDU und SPD in Berlin ihre Aussagen ernst meinen. Die neue Koalition unterstützt das Konzept "Gesundheitsstadt Berlin". Die Akteure werden schnell an ihren Handlungen zu messen sein. Die großen Projekte sind eine engere strukturelle Zusammenarbeit der Charité mit dem MDC in Buch und eine angemessene Finanzierung der Investitionen für Vivantes und die Charite.
KMF: Geplant ist der Vereinbarung zufolge auch, Berlin bei der Vergabe klinischer Studien weiter nach vorne zu bringen. Was kann die Stadt Berlin tun, um die Charité diesbezüglich zu unterstützen?
Ganten: Berlin als Standort für die pharmazeutische Industrie zu fördern, ist ein richtiger Ansatz. Wir haben in Berlin schon mehr Firmen angesiedelt als in jeder anderen Stadt Deutschlands. Das ist gut für die Zusammenarbeit in der Forschung und in der Klinik. Prof. Einhäupl möchte die Charité zum Kooperationspartner Nr. 1 machen. Berlin ist mit der Charité und Vivantes als Standort für klinische Studien prädestiniert, weil allein diese beiden Großversorger fast 50 Prozent der gesamten Krankenversorgung in Berlin abdecken und Studien schnell durchgeführt werden können. Wichtig ist, dass die hohen ethischen Standards eingehalten werden, aber der Fortschritt zum Wohle der Patienten darunter nicht leidet. Das Land Berlin und alle Beteiligten sind gefragt, Wege zu finden, die gute Ausgangslage zu nutzen.
KMF: Die Koalitionäre unterstützen in ihrer Vereinbarung mit "…Nachdruck die Aktivität, den World Health Summit in Berlin zu halten". Wird dieser Nachdruck reichen, um den finanziellen Anforderungen eines hochrangig besetzten Gipfels wie dem WHS gerecht zu werden?
Ganten: Der WHS ist ein hervorragendes Image-bildendes Aushängeschild für die Gesundheitsstadt Berlin wie das World Economic Forum für Davos. Wir haben den World Health Summit 2009 erstmals in Berlin durchgeführt, bis 2011 mit zunehmendem Erfolg. Es gibt die Begehrlichkeit, dass er in andere Länder "abwandert". Das wollen wir alle verhindern. Berlin ist hierfür der richtige Ort. Die Zusage der Berliner Koalitionäre und der Bundesregierung, diesen Gipfel weiterhin zu unterstützen, ist deutschlandweit einmalig und wird von unseren Partnern in der Internationalen "M8 Allianz der Universitätskliniken und National Akademien" sehr positiv bewertet. Mit der Gründung der WHS-Foundation besteht für das Land Berlin die Möglichkeit, in diesen Gipfel zu investieren – und damit den Gesundheitsstandort Berlin weiter strategisch nach vorne zu bringen.
Dr. med. Günter Jonitz

Dr. med. Günter Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, erläuterte im Gespräch mit dem KMF, was die Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD für die Patientenversorgung in Berlin bedeutet.
KMF: Berlin, heißt es in der Koalitionsvereinbarung der Berliner CDU und SPD, soll sich zum führenden Gesundheitsstandort Europas entwickeln. Glauben Sie daran?
Jonitz: Das ist ein hehres Ziel, das ich allerdings sehr begrüße. "Wo Berlin ist, ist vorn!" Wir haben eine Menge großer, bedeutender Einrichtungen in der Hauptstadt. Diese Einrichtungen haben aber auch große Probleme. Charité ebenso wie Vivantes stellen hohe Ansprüche an die Patientenversorgung und haben gleichzeitig mit hohen Defiziten zu kämpfen. Um Berlin nach vorne zu bringen – wie es ja geplant ist – muss die Zusammenarbeit aller Akteure besser funktionieren.
KMF: Diese Zusammenarbeit wollen die Koalitionäre stärken, schreiben sie. Wie könnte eine bessere Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Versorgern und Wissenschaft aussehen?
Jonitz: Eine gute Kooperation ist dann gegeben, wenn Menschen an einem Tisch zusammengebracht werden können und es darum geht, Inhalte voranzubringen. Der neue Senat gibt hier Anlass zur Hoffnung. Er ist pragmatisch unterwegs, die Wege scheinen kürzer zu sein als bislang.
KMF: Der World Health Summit ist explizit als einer der großen deutschen Kongresse und als zentraler Kongress in der Bundeshauptstadt in der Vereinbarung genannt. Wird er Berlin als Gesundheitshauptstadt Europas nach vorne bringen?
Jonitz: Ich bezweifle, dass das Ziel eines einzelnen Kongresses sein kann oder sollte. Der WHS und sein Anspruch sind groß. Den Begriff "Gesundheitshauptstadt" würde ich aber eher zusammenbringen wollen mit "guter Patientenversorgung". Das ist die Herausforderung - weltweit. Ich selbst habe den WHS bislang noch nicht besucht.
KMF: Berlin soll auch zur Gesundheitsmetropole für klinische Studien werden, bedingt durch die Großversorger Charité und Vivantes. Wird dies gelingen?
Jonitz: Auch hier gilt: wir brauchen bessere klinische Studien, bislang hapert es noch an der Qualität. Die Politik muss letztlich die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass wir das tatsächlich relevante Wissen in der Gesundheitsversorgung auch zur Verfügung haben. Ich halte ich es beispielsweise für sinnvoll, das Deutsche Cochrane Zentrum, das ist eine der führenden Einrichtungen für "sauberes Wissen in der Medizin", von Freiburg nach Berlin zu holen – damit würde der Gesundheitsstandort Berlin weiter aufgewertet.
KMF: Lässt Sie die Koalitionsvereinbarung hoffnungsvoll zurück?
Jonitz: Ja, ich habe die Hoffnung, dass sich das Miteinander der genannten Akteure schnell verbessert. Beweis dafür, dass wir auf einem guten Weg sind, ist die gute Zusammenarbeit bei der Umsetzung des Gendiagnostikgesetzes. Außerdem zeigt der neue Senat großes Interesse an der Patientenversorgung.
Rolf D. Müller

Rolf D. Müller, Vorstandsvorsitzender a.D. der AOK Berlin und Senior Advisor des Gesundheitswirtschaftsnetzwerkes "HealthCapital Berlin Brandenburg", erläuterte im Gespräch mit dem KMF, was die Koalitionsvereinbarung von CDU und SPD für den Wirtschaftsstandort Berlin bedeutet.
KMF: Herr Müller, wie bewerten Sie als langjähriger Berliner Gesundheitsfachmann die Aufnahme der Gesundheitswirtschaft in die Berliner Koalitionsvereinbarung?
Müller: Ich halte dies für außerordentlich bemerkenswert! Schließlich verstand man lange Zeit unter Gesundheit lediglich die Daseinsvorsorge, nicht aber die Gesundheitswirtschaft. Ich bin optimistisch, dass die Aufnahme der Gesundheitswirtschaft auch zu einer Optimierung der Versorgung insgesamt führt.
KMF: Was unterscheidet die Stadt Berlin von anderen Standorten in Europa, was macht Berlin wettbewerbsfähig und einzigartig?
Müller: Die Stadt bringt gute Rahmenbedingungen mit sich. Hier versammeln sich junge und alte Menschen, Berlin ist nah an Osteuropa dran und zugleich das jüngste Bundesland. Wo sonst kommen so viele Faktoren zusammen? Leider mangelt es Berlin bislang noch an ausreichend Industrieunternehmen in der Gesundheitswirtschaft.
KMF: Halten Sie das Vorhaben der Koalitionäre, Politik, Wirtschaft, Versorger und Wissenschaft in Berlin stärker einzubeziehen und miteinander arbeiten zu lassen, für realistisch?
Müller: In jedem Fall! Wir beobachten in Berlin einen Wandel in der Bevölkerungsstruktur, die alte Behäbigkeit ist nicht mehr gegeben. Neue Strukturen entstehen und sind gefragt – der ehemals vorhandene Pharmazirkel reicht dabei nicht mehr aus. Sämtliche Unternehmen der Gesundheitsbranche müssen eingebunden werden.